1. Entwicklung der Fachrichtung Pharmazie an der Universität Halle
1. Entwicklung der Fachrichtung Pharmazie an der Universität Halle
P.Nuhn, H.Remane, R.Neubert
Die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg ist die älteste und größte Bildungseinrichtung im Bundesland Sachsen-Anhalt. Sie ist im Jahre 1817 aus der Vereinigung der Universitäten Wittenberg (gegründet im Jahre 1502) und Halle (gegründet 1694) hervorgegangen. Seit dieser Zeit ist Halle der Standort, an dem die weitere Entwicklung, insbesondere auch der Medizin und der Naturwissenschaften, vollzogen wurde. Am 10. November 1933 erhielt die Universität aus Anlaß des 450. Geburtstages des Wittenberger Reformators, Martin Luther (1483-1546), den Namen Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges kam ab Februar 1945 der Universitätsbetrieb zum Erliegen. Die Neueröffnung der Universität erfolgte am 1. Februar 1946, die Neugründung des Fachbereiches Pharmazie fand zum Wintersemester 1946/47 statt. Die Entwicklung der Pharmazie an der Universität Halle ist in mehreren Etappen erfolgt, die kurz skizziert werden sollen und charakteristisch für die Entwicklung der Hochschulpharmazie in Deutschland sind.
1.1. Pharmazie im Rahmen der Medizinischen Fakultät (1694-1841)
Der pharmazeutische Unterricht an der Universität Halle fand, wie auch an anderen deutschen Universitäten, zuerst an der Medizinischen Fakultät statt und wurde fast ausnahmslos von Medizinstudenten gehört. Doch verfügte die Universität Halle seit ihrer Gründung über eine Universitätsapotheke.
Bald nach der Gründung der Universität wurden pharmazeutische Vorlesungen durch die beiden ersten und damals einzigen Ordinarien der Medizin Friedrich Hoffmann (1660-1742) und Georg Ernst Stahl (1659-1734) gehalten. So lehrte Hoffmann neben Botanik, Hygiene, Pathologie und Physiologie auch die Materia medica. Stahl hielt "privatim" ein "Collegio Pharmaceutico Chymico". Darüber hinaus befaßten sich beide auch mit praktischen Dingen der Pharmazie, wofür als erfolgreiche Beispiele die "Stahlschen Pillen" und die legendären "Hoffmannstropfen" genannt werden sollen.
Von 1733 an hielt der Mediziner Johann Heinrich Schulze (1684-1744) Vorlesungen über Arzneizubereitung und Rezeptierkunst. Die Kurse zur Materia medica wurden ab 1734 von Hoffmanns Sohn, Friedrich Hoffmann (jun.) (1703-1766), übernommen. Später unterrichteten die Arzneimittellehre parallel oder im Wechsel mit dem Mediziner Hoffmann auch die Professoren der Botanik, Heinrich Christian Alberti (1722-1782), ab 1743, und Christoph Carl Strumpff, ab 1757. Nach seiner Berufung zum Extraordinarius im Jahre 1753 gab auch der Mediziner Friedrich Christian Juncker (1730-1770) Kurse zur Materia medica, deren Inhalt Grundlage für sein "Compendium materiae medicae" wurde (erschienen 1760).
Auch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde die Arzneimittellehre durch Mediziner vertreten. Hierzu gehören Andreas Elias Büchner (1701-1769), Adam Nietzky (1714-1780), Johann Friedrich Gottlieb Goldhagen (1742-1788) und Friedrich Adolf Richter (1748-1797). Von ihnen widmete sich Richter in besonderem Maße den Belangen der Pharmazie. In seinem Kurs "Pharmaciam" orientierte er sich an der "Einführung in die Pharmazie" von Gmelin, während er für seine Vorlesungen zur Materia medica J. R. Spielmanns "Anleitung zur Kenntnis der Arzneymittel, zu akademischen Vorlesungen eingerichtet" benutzte. Mit der Berufung von Friedrich Albert Karl Gren (1760-1798) im Jahre 1788 nahm an der Universität Halle erstmals ein Apotheker die Belange der Naturwissenschaften in die Hand. Gren konnte durch seine Lehrtätigkeit und durch seine umfangreiche publizistische Tätigkeit wesentlich zur Profilierung naturwissenschaftlicher Fächer, insbesondere der Physik, beitragen. Doch es sollte noch Jahrzehnte dauern, bis dieser Prozeß endgültig vollzogen werden konnte. Eine Schlüsselstellung für die Etablierung der Pharmazie hatte das Wirken des Mediziners Johann Friedrich Christian Düffer (1776-1831). Er wurde 1817 zum Ordinarius für Pharmakologie und Pharmazie ernannt und hat diese Fächer an der Universität Halle ab 1805 gelehrt. Damit ist erstmals ein Lehrauftrag für Pharmazie festgeschrieben worden. Seit dem Jahre 1817 sind auch Immatrikulationen für das Fach Pharmazie an der Universität Halle belegt.
Die beiden ersten Dekaden des 19. Jahrhunderts sind für die Entwicklung des Pharmaziestudiums generell von Bedeutung, da in dieser Zeit die Pharmazie begann, ein eigenständiges Lehrfach an den deutschen Universitäten zu werden.
An der Universität Halle übernahm im Jahre 1823 der Administrator der Waisenhausapotheke und spätere Extraordinarius Georg Heinrich Stoltze (1784-1826) die pharmazeutischen Kurse, die sich durch eine starke Praxisverbundenheit auszeichneten.
1.2. Pharmazeutisches Privatinstitut (1829)
Die Institutionalisierung der Pharmazie in Halle wurde erstmals durch den naturwissenschaftlich sehr interessierten außerordentlichen Professor der Medizin Franz Wilhelm Schweigger-Seidel (1795-1838) vollzogen. Mit Unterstützung seines Adoptivvaters, des Ordinarius für Physik und Chemie, Johann Salomo Christoph Schweigger (1779-1857), eröffnete dieser im Frühjahr 1829 sein pharmazeutisches Privatinstitut in der Kleinen Ullrichstraße. Schweigger-Seidel begann mit vier Studenten, die nach einem speziell auf die Belange der Pharmazie ausgerichteten Lehrprogramm ausgebildet wurden. Er hielt Vorlesungen über pharmazeutische, gerichtliche und polizeiliche Chemie, Toxikologie, Stöchiometrie, Arzneiformen, Rezeptierkunst und Arzneimittellehre, nahm also auch Ausbildungsaufgaben der Medizinischen Fakultät wahr. Dazu bot er chemische Laboratoriumsübungen an. Dennoch blieb die Zahl seiner Pharmaziestudenten klein. Ein wesentlicher Grund dafür lag in den gültigen Prüfungsbestimmungen. Die Approbation eines Apothekers I. Klasse in Preußen und die damit verbundenen Privilegien konnten nur durch die Ober-Examenskommission vergeben werden, die in Berlin ansässig war. Infolgedessen hatte auch die Berliner Universität ein Vielfaches an Pharmaziestudenten im Vergleich zu den anderen preußischen Universitäten.
Nach dem Tode von Schweigger-Seidel, im Jahre 1838, wurde der pharmazeutische Unterricht durch seinen Schüler und langjährigen Assistenten, Karl Steinberg (1812-1852), zunächst auf eigene Kosten, fortgesetzt. Steinberg habilitierte sich 1842 und wurde 1843 zum außerordentlichen Professor ernannt. Erst im Jahre 1846 bekam er die bis dahin vakante Leitung des Pharmazeutischen Institutes, das zu diesem Zeitpunkt offiziell wiedereröffnet worden ist. Steinberg erwarb sich noch weitere Verdienste um die Etablierung des pharmazeutischen Unterrichtes an der Universität Halle. Seine, gemeinsam mit F. R. A. Döbereiner, zwischen 1839 und 1842, gehaltene Vorlesung "Pharmazeutische Chemie in Verbindung mit praktischen Übungen" wurde im Vorlesungsverzeichnis für das Sommersemester 1841 erstmals unter der Rubrik "Naturwissenschaften" in der Philosophischen Fakultät angekündigt. Damit wurde formal der Wechsel der Pharmazie von der Medizinischen in die Philosophische Fakultät vollzogen. Doch die Medizinische Fakultät beanspruchte noch weiterhin das Recht, die Apothekerausbildung zu reglementieren.
Neben der pharmazeutischen Ausbildung pflegte Steinberg auch den chemischen Unterricht, der von 1819 an in den Händen des Ordinarius für Physik und Chemie Schweigger lag. Erst im Jahre 1843 kam es an der Universität Halle zur Trennung des "Physikalischen Cabinets und chemischen Laboratoriums", als Richard Felix Marchand zum Extraordinarius für Chemie (ab 1846 zum Ordinarius) und zum Direktor des neubegründeten chemischen Laboratoriums berufen wurde. Zwischen 1843 und 1850 hielten sowohl Steinberg als auch Marchand chemische Vorlesungen, doch es gelang Steinberg nicht, nach dem Tode von Marchand dessen Ordinariat zu bekommen. Statt dessen wurde im Jahre 1851 der Apotheker und Chemiker Wilhelm Heintz (1817-1880) zum Nachfolger von Marchand bestellt.
1.3. Die Pharmazie als "Appendix der Chemie"
Heintz wirkte in Halle als Direktor des chemischen Institutes der Universität fast dreißig Jahre. Der ständig wachsenden Bedeutung der Chemie um die Mitte des 19. Jh. Rechnung tragend, setzte er sich zielstrebig für deren Ausbau und Erweiterung ein. Besonders lagen ihm die finanzielle und räumliche Verbesserung der Ausbildungsbedingungen am Herzen. Im Frühjahr 1863 konnte der unter seiner Leitung entstandene Neubau des chemischen Instituts an der Mühlpforte in Betrieb genommen werden.
Die Expansion der Chemie unter Heintz hatte für die Pharmazie schwerwiegende Folgen. Nach Steinbergs Tod, im Jahre 1852, hatte Heintz mit Erfolg die Übertragung des Etats des pharmazeutischen Institutes auf das (chemische) Universitätslaboratorium beantragt. Damit verbunden war die Übertragung des pharmazeutischen Unterrichts auf das chemische Institut unter dem Direktorat von Heintz. Ihm oblag die Ausbildung der Pharmaziestudenten, die in dieser Zeit im wesentlichen auf die pharmazeutische Chemie reduziert war. Hinzu kam, daß Halle als Ausbildungsstätte für Pharmaziestudenten nicht besonders attraktiv war. Denn auch nach der Abschaffung der Zweiteilung Apotheker I. Klasse und Apotheker II. Klasse im Jahre 1854 blieb es in Preußen zunächst der Universität Berlin vorbehalten, die Prüfungen für das pharmazeutische Staatsexamen abzunehmen. Heintz, der selbst den Beruf des Apothekers erlernt und im Jahre 1842 in Berlin das pharmazeutische Staatsexamen abgelegt hatte, konnte schließlich erreichen, daß im Jahre 1864 auch in Halle eine pharmazeutische Prüfungskommission eingesetzt wurde. Sie bestand aus einem Professor der Botanik, der Physik und der Chemie sowie aus zwei Apothekern und mußte für jedes Prüfungssemester durch das zuständige Ministerium neu bestätigt werden. Mit der Einrichtung der Prüfungskommission stieg die Anzahl der Pharmaziestudenten deutlich an.
Eine weitere Verbesserung der Bedingungen für die Pharmaziestudenten konnte erreicht werden, als ab 1866 (bis zu seiner Wegberufung im Jahre 1873) der Privatdozent Karl Engler (1842-1925) während der Wintersemester einen speziellen Kurs über "Pharmazeutische Chemie" hielt.
Englers Nachfolge trat im Jahre 1874 der Apotheker Ernst Albert Schmidt (1845-1921) an, zunächst als zweiter Assistent des chemischen Laboratoriums. Ihm oblag die pharmazeutische Ausbildung. Im Jahre 1878 wurde er zum a.o. Professor für pharmazeutische Chemie ernannt. Schmidt bemühte sich intensiv um die Verselbständigung der Pharmazie einschließlich der institutionellen Abtrennung vom chemischen Institut. Doch seine Bemühungen blieben ohne Erfolg. Erst nach seiner Berufung zum Ordinarius für pharmazeutische Chemie nach Marburg im Jahre 1884 begründete er dort seine bedeutende wissenschaftliche Schule der Hochschulpharmazie. Einen wichtigen Grundstein dazu hatte er durch sein "Ausführliches Lehrbuch der pharmazeutischen Chemie" (1. Band 1879, 2. Band 1882) und seine "Anleitung zur qualitat